Bigna: Wir sollten Abfälle als Ressourcen sehen und wieder nutzbar machen. So lassen sich Kreisläufe schliessen. Dieses Denken begleitet mich nicht nur im beruflichen, sondern auch im persönlichen Alltag.
Circular Tarp
«Wir denken und handeln in Kreisläufen» lautet die Unternehmensphilosophie von FREITAG seit 1993. Heute denken wir vor allem darüber nach, wie wir noch besser in geschlossenen Kreisläufen handeln können. Wie viel besser es wäre, wenn unsere Taschen nicht nur rezykliert, sondern auch endlos rezyklierbar wären – wenn wir also den ausgedienten Lastwagenplanen nicht nur ein zweites, sondern gleich ein ewiges Leben schenken könnten.
DIE PLANE DER ZUKUNFT
Was braucht es, damit auch LKW-Planen – aus denen die meisten unserer ikonischen Taschen und Accessoires hergestellt werden – dereinst kreislauffähig sind und nicht mehr im Müll landen?
Die Antwort auf diese Frage ist so einfach wie herausfordernd: FREITAG entwickelt eine zirkuläre Lastwagenplane. Und zwar gemeinsam mit verschiedenen Industriepartnern aus dem Material-, Chemie- und Verbundbereich, aber auch mit Konfektionären, Logistikunternehmen und Institutionen aus der Materialprüfung und der Recyclingindustrie. Sie alle teilen diese Vision und sehen das Potenzial der Kreislaufwirtschaft, deshalb arbeiten wir im Kollektiv, ganz ohne finanzielle Abhängigkeiten.
WAS BISHER GESCHAH
FREITAG hat die Suche nach der Plane der Zukunft im Herbst 2020 lanciert. Anstatt im Müll soll die neue Plane – oder, besser, die daraus hergestellten FREITAG Unikate – einmal im biologischen oder im technischen Kreislauf landen. Das heisst, sie muss biologisch abbaubar sein oder sich in ihre chemischen Bestandteile zerlegen lassen können, aus denen dann mittels Recycling wieder neue Planen oder andere Produkte entstehen. Und natürlich muss das Material robust, langlebig, wasserabweisend und praktisch sein.
Für die Umsetzung haben wir verschiedene Akteure mit dem benötigten Know-how ins Boot geholt. Die so gebildete heterogene Gemeinschaft aus hoch motivierten Partnern arbeitet seither zielorientiert, agil und mehrspurig an der Planenrevolution. Bereits im Jahr 2022 konnten die ersten Prototypen auf einen Lieferwagen montiert und auf eine zweijährige Testfahrt geschickt werden. 2024 beendeten diese Pionierplanen ihre Jungfernfahrt, gelangten zurück zu FREITAG und liefern nun wertvolle Erkenntnisse in Bezug auf die Eigenschaften des Materials und auf dessen Rezyklierbarkeit.
ERSTE LKW-TESTFLOTTE UNTERWEGS
Die Suche nach dem perfekten Material lief währenddessen im Hintergrund weiter, und die Arbeit trägt Früchte – zwei Teilprojekte sind bereit für den Härtetest. Deshalb sind die zirkulären Planen nun im Rudel unterwegs: Mit dem Schweizer Logistikunternehmen Planzer konnten wir einen Partner aus der Transportindustrie gewinnen, der gleich sechs seiner LKWs und fünf Anhänger mit zwei verschiedenen Testplanen bestückt hat. Ausgerüstet wurden sie von der Bieri Tenta AG, die die Planen auch bedruckte und viele Stunden in umfassende Materialtests investierte, um die Verarbeitbarkeit und Beschriftbarkeit sicherzustellen.
GROSSE MATERIALMENGE BRINGT NEUE ERKENNTNISSE
Die Fahrzeuge werden nun für unterschiedlich lange Zeiträume unterwegs sein – durch diese Staffelung kann der Alterungsprozess des Materials in der freien Wildbahn nachvollzogen werden.
Dank der grossen Materialmenge können zudem bald auch die nachgelagerten Taschenproduktionsschritte bei FREITAG – Waschen, Zuschneiden, Nähen – getestet werden, ebenso die entsprechenden Recyclingansätze.
MATERIALIEN: ZWEI LÖSUNGEN AUF DEM VORMARSCH
Die neue kreislauffähige Plane wird – wie ihre konventionellen Vorgänger – aus einem robusten Gewebe sowie einer weichen, wasser- und schmutzabweisenden Beschichtung bestehen. Seit Projektstart 2021 haben sich verschiedene mögliche Materialkombinationen hervorgetan, an denen die unterschiedlichen Partner geforscht haben. Zwei weit fortgeschrittene Ansätze kommen auf der Testflotte zum Handkuss: PES/TPU und PP/PP.
MATERIALANSATZ PES/TPU: FORTGESCHRITTEN UND GEPRÜFT
Die bedruckten, seitlich an den Testfahrzeugen angebrachten Planen wurden von Heytex aus einem Polyestergewebe (PES) gefertigt, das wiederum mit einem thermoplastischen Polyurethan (TPU) beschichtet wurde, das der Werkstoffspezialist Covestro entwickelt hat.
Die Eigenschaften dieser Materialkombination wurden intensiv verbessert: Die PES/TPU-Plane hat nicht nur die Materialgesundheitsprüfung der EPEA* bestanden, sondern erfüllt bereits die ISO-Normen für Side Curtains (40-Tonnen-LKWs). Zudem konnte das Material auch hinsichtlich Bedruckbarkeit, Handhabung und Weiterverarbeitung weiterentwickelt werden, was sowohl seitens der Transportindustrie als auch aus Sicht von FREITAG zentral war.
FREITAG evaluiert derzeit mit Covestro und dem Schweizer Recyclingunternehmen DePoly SA Recyclingprozesse für die TPU/PES-Plane.
*EPEA - Part of Drees & Sommer bewertet Materialien nach der Cradle to Cradle®-Methodik in Bezug auf umfassende Materialgesundheit für Mensch und Umwelt, technische Rezyklierbarkeit sowie Implementierung eines Take-back-Systems.
MATERIALANSATZ PP/PP: MONOMATERIELL UND KOSTENGÜNSTIG
Auf den Dächern der LKWs und Anhänger sind Planen montiert, bei denen sowohl Gewebe als auch Beschichtung aus Polypropylen (PP) bestehen. Auch dieser Ansatz überzeugt auf verschiedenen Ebenen: Die PP/PP-Plane heisst Rivercyclon und ist monomateriell, daher ohne aufwendige Materialtrennung rezyklierbar, und sie ist kostengünstig.
Die Bedruckbarkeit des Materials war zu Beginn eine Herausforderung. In der Zwischenzeit wurden erste erfolgreiche Digitaldrucke durchgeführt und Sieb- sowie Schablonendruck getestet. Federführend bei diesem Ansatz, dem der Circularity Passport® der EPEA höchste Materialgesundheit und Rückgewinnbarkeit bescheinigt, ist der niederländische Planenhersteller Rivertex.
WEITERE MATERIALANSÄTZE
Unser Hauptaugenmerk liegt derzeit zwar auf den beiden Ansätzen, die im Rudel auf Testfahrt unterwegs sind. Doch es wird auch an weiteren Lösungen gearbeitet, und wir verfolgen die Entwicklungen auf dem Markt gespannt.
So beschäftigen sich unterschiedliche Akteure etwa mit monomateriellen Planen aus PET/PET bzw. aus TPU/TPU. Auch ein vielversprechendes Forschungsprojekt mit diversen Beteiligten, bei dem an der Entwicklung einer biobasierten Plane gearbeitet wird, wird von uns aufmerksam beobachtet. Alle diese Ansätze sind jedoch noch nicht testreif.
KREISLAUFFÄHIGKEIT UND GESCHÄFTSMODELLE
Welche der verschiedenen Materialkombinationen in Zukunft einmal zu kommerziell genutzten, kreislauffähigen LKW-Planen werden, lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht voraussagen. Neben den hohen Anforderungen an die Plane selber – hinsichtlich Qualität und Kreislauffähigkeit – wird auch die Marktfähigkeit für den Erfolg des Projekts mitentscheidend sein.
An einem grossen Round Table Meeting haben wir zusammen mit allen involvierten Partnern verschiedene mögliche Geschäftsmodelle skizziert. Noch ist ein genauer Business Case Zukunftsmusik. Ziel ist es, ein zusammenhängendes und dynamisches Netzwerk aufzubauen, das es ermöglicht, Produkte und Materialien in bestmöglicher Qualität im Kreislauf zu halten. Die Kreislauffähigkeit der Planen nachzuweisen, wird dabei ein zentraler Erfolgsfaktor sein, ebenso der Informationsfluss. Dafür gibt es einerseits den Circularity Passport® Product der EPEA (siehe unten); andererseits hat FREITAG, zusammen mit Bieri, den digitalen Produktpass für LKW-Planen entwickelt – eine Innovation in Sachen Transparenz und Nachverfolgbarkeit.
CIRCULARITY PASSPORT
Für den Nachweis der Kreislauffähigkeit entwickelt die EPEA den sogenannten Circularity Passport® Product (CPP). Anhand dessen prüft und bewertet die Organisation das ganze System hinter einem zirkulären Produkt, alle verwendeten Materialien und deren Recyclingfähigkeit und gibt darauf basierend eine Gesamteinschätzung zum Grad der Kreislauffähigkeit.
Um die Kreislauffähigkeit zu gewährleisten, muss sie aber nicht nur nachgewiesen werden, es müssen möglichst viele Informationen dazu zugänglich sein. Nur so kann ein Netzwerk einer Rückwärtslogistik entstehen, die darauf ausgerichtet ist, aus Planen, die an ihrem Lebensende sind, wieder Wert zu generieren – in diesem Fall in Form von begehrten Taschenunikaten.
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DIE CIRCULAR TECHNOLOGISTAS ERZÄHLEN
Anna und Bigna energetisieren beide die Rolle als Circular Technologist bei FREITAG.
Sie sind also so etwas wie unsere interne Kompetenzstelle für Kreislaufwirtschaft und Umwelttechnologie und helfen in verschiedenen Projekten mit, FREITAG kreislauffähiger zu machen.
Ihre Hauptaufgabe ist im Moment jedoch noch ziemlich weit von unserem Kerngeschäft entfernt angesiedelt: der Entwicklung der 100% kreislauffähigen Lastwagenplane.
Bigna: Wir sollten Abfälle als Ressourcen sehen und wieder nutzbar machen. So lassen sich Kreisläufe schliessen. Dieses Denken begleitet mich nicht nur im beruflichen, sondern auch im persönlichen Alltag.
Und damit alle Herstellungsschritte und chemischen Bestandteile als kreislauffähig bezeichnet werden können, werden sie anschliessend vom Forschungsinstitut EPEA in aufwendigen Verfahren nach der Cradle-to-Cradle®-Methodik bewertet.
Stattdessen wird sie in den technischen oder biologischen Kreislauf zurückgeführt und erhält so ein nächstes Leben. Kurz: Wir versuchen, alle Materialien und Produkte kreislauffähig zu designen, um so Müll zu vermeiden.
Es ergeben sich aber auch neue Formen der Zusammenarbeit, denn es braucht verschiedenste Unternehmen und Spezialist*innen aus der ganzen Wertschöpfungskette, damit die Plane am Ende wieder in den Kreislauf zurückgeführt werden kann.
Aber klar werden solche robusten beschichteten Textilien, die auch noch kreislauffähig sind, z. B. auch im Zeltbau, in der Architektur oder im Eventbereich eine interessante Alternative sein.
Klar ist aber, dass es etwa fünf Jahre dauern wird, bis die ausgedienten, zirkulären Planen von der Strasse zurückkommen und wir die ersten FREITAG Taschen daraus schneiden werden.
Bigna: Dass das biologisch basierte Beschichtungsmaterial in einigen Tests sogar besser abschneidet als PVC, freut mich ganz besonders. Diesen Weg wollen wir unbedingt weiterverfolgen, auch wenn dies noch einiges mehr an Entwicklungsarbeit erfordert.